Interview: “Die Wiese ist die Mutter des Ackers.”

Die Wiese ist die Mutter des Ackers.“ – Das ist ein etwas ungewöhnliches Motto. Was ist damit gemeint, Hans?

Der Ausspruch stammt von Walter Heim, der damit zum Ausdruck bringen wollte, dass eine natürliche Landwirtschaft auf symbiotischem Wachstum basiert. Die Grundidee besteht darin, dass man den Ackerboden so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig bearbeitet.

Leider sieht die landwirtschaftliche Praxis heute ganz anders: Äcker und Wiesen bieten völlig unterschiedliche Bilder. Ein nach den Maßstäben industrieller Landwirtschaft gut aufbereiteter Acker bietet ein absolut einheitliches Bild: Schwarze Erde, auf der kein Hälmchen zu sehen ist. Wenn die Saat aufgeht, dann sprießen die Pflänzchen in Reih und Glied. Am Ende beherrscht die jeweilige Monokultur das Gesamtbild; am besten so, dass auch ja keine einzige andere Pflanze den Bestand stört.

Sieht man sich demgegenüber eine – naturbelassene – Wiese an, steht diese in krassem Gegensatz zu den Prinzipien der Spezialisierung und Maximierung. Bei einer Wiese wird der Boden nicht umgegraben. Und auch sonst wird die Wiese mit möglichst wenig maschinellem Aufwand bearbeitet. So wächst und gedeiht, was sich im Ökosystem der jeweiligen Wiese Platz und Raum verschafft.

Das verstehe ich. Doch was soll gut daran sein, wenn auf einem Acker alles durcheinander wächst wie auf einer Wiese?

Im Grunde geht es um die Überzeugung, dass nur natürliches Wachstum gesundes Wachstum ist. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt das sehr gut. Letztes Jahr – 2019 – regnete es in unserer Region während der Wachstumsphase zu wenig. Die anhaltende Trockenheit setzte beispielsweise den Weizen massiv unter Stress. Denn ohne ausreichend Flüssigkeit vertrocknen die Pflanzen und sterben. Kurz vor der Ernte war es dann über mehrere Wochen hinweg viel zu nass; auch das ein Stresszustand für den Weizen. Denn bei zu viel Feuchtigkeit läuft er Gefahr vor Ausreifen der Saat einzugehen.

Im Grunde geht es um die Überzeugung, dass nur natürliches Wachstum gesundes Wachstum ist.

Hans Lochbrunner, Bio-Bauer seit 1989

Zu diesem Zeitpunkt habe ich im Umkreis eines Kilometers Proben aus insgesamt 14 Weizenfeldern entnommen; darunter auch unser eigenes. Das Ergebnis: Der Weizen, der in natürlicher Symbiose mit anderen Pflanzen wuchs, war goldgelb und ohne jeglichen Pilzbefall. Die Weizenpflanzen der übrigen 13 Felder waren – mit einer Ausnahme – grau und stark verpilzt.

Hier die Proben aus den Weizenfeldern kurz vor der Ernte 2019. Sehen Sie die eine Probe, die goldgelb ohne Pilze hervorsticht?

Im Unterschied zu unserem Weizen wuchsen die anderen 13 Weizenschläge in Monokulturen, wurden mit chemischen Pflanzenschutzmitteln, also Gift, bearbeitet und künstlich gedüngt. Anders als der goldgelbe Weizen waren diese Pflanzen kurz vor der Ernte massiv erkrankt, was ich auf ein schwaches Immunsystem der Pflanzen zurückführe. Denn offensichtlich konnte der künstlich ernährte Weizen angesichts der extremen Witterungsbedingungen trotz Pestiziden dem Pilzbefall nicht standhalten.

Die Weizenähren der rechten Probe sind im Gegensatz zu den anderen Ähren gesund. Gerade weil sie nicht mit Pestiziden und Fungiziden behandelt wurden konnten sie in einem Jahr extremer Witterungsbedingungen Trockenheit und Nässe standhalten.

Interessante Beobachtung, Hans. Doch was hat das mit uns zu tun?

Um das zu erklären, möchte ich noch einmal auf eine Erfahrung aus der Praxis verweisen. Als ich dieses Jahr am 1. Mai zum ersten Mal Grünfutter holte, kam mir eine Parallele zwischen der industriellen Landwirtschaft und der derzeitigen Corona-Quarantäne.

Weil niemand die Frage stellt wie sinnvoll es ist, alles der Gewinnmaximierung unterzuordnen, ist es völlig in Ordnung, Tiere ein Leben lang im Stall zu halten – also in einer Art Quarantäne.

Die industriellen Landwirtschaft verfolgt unter allen Umständen das Ziel, den wirtschaftlichen Erfolg möglichst hoch zu halten. Anfallende Kollateralschäden werden billigend in Kauf genommen. Weil niemand die Frage stellt wie sinnvoll es ist, alles der Gewinnmaximierung unterzuordnen, ist es völlig in Ordnung, Tiere ein Leben lang im Stall zu halten – also in einer Art Quarantäne. Dass das auf die Tiergesundheit enorme negative Auswirkungen hat, ist offensichtlich kein Problem. Denn für die Behandlung der Krankheitssymptome gibt es schließlich den Tierarzt.

Etwas ähnliches beobachte ich gerade mit Blick auf die Coroana-Situation. Denn ähnlich wie die industrielle Landwirtschaft reagiert unsere Politik im Moment mit Maßnahmen, um Symptome zu bekämpfen anstatt auf die Ursachen weitreichender Probleme zu schauen. Konkret sieht das so aus: Es gibt eine Zahl, die um jeden Preis erreicht werden muss – in diesem Fall die Anzahl der Neuinfizierten.

Um diese Zahl möglichst gering zu halten, werden Menschen massenweise und ganz undifferenziert in Quarantäne gezwungen. In der Logik der Symptombekämpfung ist das eine sinnvolle Maßnahme. Wenn ich jedoch eine ganzheitliche Perspektive einnehme, muss ich die Fragerichtung komplett umdrehen. Anstatt zu fragen, wie ich die Menschen möglichst konsequent vor Corona bzw. Covid-19 schütze, muss ich mich fragen, warum die Menschen überhaupt massenhaft erkranken. Sprich: Was schwächt unser Immunsystem so sehr, dass die Menschen weltweit an einem Virus sterben? Eine Antwort auf diese Frage finde ich in der Analogie mit dem Weizen aus letztem Jahr: Der Weizen, der in natürlicher Symbiose mit anderen Pflanzen wuchs, konnte dem Stress extremer Witterungsbedingungen standhalten. Anders verhielt es sich mit dem Weizen, der in Monokultur gehalten, künstlich ernährt und mit Pestiziden gespritzt wurde. Dieser erkrankte massenweise.

Vielleicht verhält es sich mit uns Menschen ganz ähnlich wie mit dem Weizen, den wir direkt oder indirekt zu uns nehmen: Wenn wir in einer natürlichen Umgebung aufwachsen – in Symbiose mit all dem, was links und rechts hervorsprießt – dann können wir auch unter teils sehr schwierigen Bedingungen gesund bleiben. Sind wir jedoch Teil einer Monokultur, die alles der Gewinnmaximierung unterwirft, greift uns das im Innersten so sehr an, dass unser Immunsystem auf Dauer darunter leidet.